In Berlin schmeckt’s

Vom Eckimbiss bis zum gestärkten weißen Tischtuch – in Berlin kann man es sich an immer neuen Orten schmecken lassen, und es gibt kaum einen Winkel, wo sich nicht die eine oder andere manchmal auch ungewohnte Köstlichkeit entdecken ließe. Unsere Autorin Susann Sitzler ist schon einmal vorgegangen.

 

Becketts Kopf

Die Nachteile zuerst: Wenn man Pech hat, kommen Gruppen, die es wahnsinnig aufregend finden, ihre Getränke zu fotografieren und dabei einen Heidenlärm zu machen. Darum besser nicht am Wochenende kommen. Und manchmal wollen Gäste zeigen, dass sie sich mit Zigarren auskennen. Dann räuchert ein einzelner Sitzplatz den ganzen Laden voll. Dagegen kommt man nur mit dieser spezifischen Toleranz an, die Berlin zur Nachtlegende machte: leben und rauchen lassen. Ansonsten ist alles an dieser Bar makellos. Zuallererst die konsequent durchkomponierten Cocktails. Komplex und ausgeklügelt zeigen sie, dass Mixen Künsten wie Malerei oder Musik verwandt ist. Das Zusammenspiel aus Gerüchen, Geschmäckern, Farben und Texturen führt im Becketts Kopf manchmal zu nur wenigen Schlucken einer konzentrierten Essenz. Doch die bleibt in Erinnerung. Ganz langsam versinkt man in dem kleinen Raum in rotem Licht und den eigenen Gedanken. Bis irgendwann vielleicht sogar dieser Moment erreicht ist, wo man alles, was von außerhalb kommt, einfach auszublenden vermag und ganz im Innern des Kopfes ist – dem eigenen und dem von Samuel Beckett, der hier den Namen gab. Manchmal bestellt jemand eine Pulle Bier. An solche Leute ist dieser Laden verloren. 

Becketts Kopf, Pappelallee 64, Prenzlauer Berg.
Tel. 030/440 358 80, www.becketts-kopf.de
Geöffnet täglich ab 19 Uhr. So/Mo bis 2 Uhr, Di – Do bis 3 Uhr, Sa/So bis 4 Uhr Cocktails ab 12 Euro, keine Kartenzahlung
Alkoholfreie Varianten: ja, Rauchen: ja

 

 


Japanische Bäckerei in Charlottenburg [Foto: ©Magnus Aspelin und GAMERA GmbH]

Mehr als Manga

Manche Leute verbinden Japan zuerst mit Sushi, andere mit Manga. Nur wenige dürften bisher gleich an Feinbackwaren gedacht haben. Das ändert sich nach einem Besuch in der japanischen Bäckerei „Kame“ in Charlottenburg. Schlichte Tische und Stühle, ein paar Kimonos an den Wänden und im hinteren Teil eine Ecke, wo man auf Tatami-Matten am Boden sitzen kann. Vor allem aber große Vitrinen mit Leckereien. Eine Art Vanillehörnchen mit Matchacremefüllung. Das aus Mangas bekannte „Melonpan“ – ein unspektakulär schmeckendes, aber bezaubernd aussehendes Weizenbrötchen in Melonenoptik. Ein Hit des Ladens ist der köstlich nahrhafte Matcha-Cheesecake, der durch die Beigabe von Grünteeblättern giftgrün ist. Auf der herzhaften Seite gibt es etwa das würzig gefüllte Vegetable Curry Pan oder – ganz ungebacken – prächtige Onigirazu: eine Art überdimensionierte Sushi aus Reis, Algenblatt und Huhn, Rind oder Tofu. Köstlich und klebrig. Das Kame füllt eine Lücke im Berliner Angebot, weil es etwas bietet, was vertraut genug ist, um es auch mit Kindern auszuprobieren und doch fremdartig genug, um selbst für erfahrene Esser spannend zu sein. Die Bedienung ist bemüht, und die vielen Asiaten, die hier gemütlich Tee trinken und Kuchen mümmeln, sind ein gutes Zeichen für die Authentizität des Ladens.

Kame – japanese Bakery, Leibnizstraße 45, Charlottenburg.
Tel. 030/85 74 35 49, www.kame.berlin
Geöffnet Mo – Sa 9 bis 19 Uhr, So 11 bis 17 Uhr, Gebäck ab 2,50 Euro
Vegetarische Speisen: ja, Vegane Speisen: ja
Behindertenfreundlich: nein

 

 


Gute Drinks, gute Musik [Foto: © The Hat Bar Berlin]

Lebenslust zur Mittagszeit

Schwer zu finden, wenn man nicht weiß, wonach man sucht. Das gilt für den Lebenssinn ebenso wie für das Restaurant „Mars“. Im letzteren Fall sind es vom Weddinger Nettelbeckplatz zwar nur drei Minuten zu Fuß. Doch wenn man sich von der entrückten Strenge des ehemaligen Krematoriums an der Gerichtstraße abweisen lässt, kann man in die Irre laufen. Tatsächlich muss man dort zwischen Friedhofszaun und Kulturquartier „Silent Green“ einbiegen, mit dem das historische Gebäude heute bespielt wird, und erreicht so nach wenigen Schritten das Lokal. Und damit einen Geheimtipp, der es in sich hat. Auf den Punkt komponiert und aus besten saisonalen und regionalen Zutaten zusammengestellt sind die Vorschläge der wöchentlich wechselnden Mittagskarte: Erbsen-Fenchel-Suppe mit Estragonjoghurt, Salsiccia mit Birne und Bohnen, Salate mit klarem Charakter. Der Ausblick auf die schattigen Gräber des Gerichtsstraßenfriedhofs ist dabei kein bisschen makaber – sondern so beruhigend, dass man sich dadurch vielleicht sogar wieder an den Sinn des Lebens erinnert. Oder jedenfalls daran, ihn in den guten Momenten zu suchen. Warum nicht gleich hier, wenn man einen Teller schönsten Essens vor sich hat?

Mars im Silent Green Kulturquartier, Gerichtstraße 35, Wedding.
Tel. 030/46 06 12 05, www.mars-berlin.net, Geöffnet Mo – Fr 11 bis 17 Uhr (Küche 12 bis 15 Uhr), Sa/So 10 bis 17 Uhr (Küche 10 bis 15 Uhr).
Mittagstisch ab 6,90 bis 9,50 Euro, Vegetarische Gerichte: ja, Vegane Gerichte: ja, Behindertengerecht: nein

09 - Herbst/Winter 2018