Hauptstadt der Flaneure

Heute: Comeback mit Bikini.

Liebe Mitflaneure! Viele Jahrzehnte lang war es undenkbar, dass eine Berlin-Geschichte woanders begann als am Bahnhof Zoo. Auch Ihr Flaneur zählte einst zu der Masse junger Menschen, die hier mit dem Zug in ihrer neuen Heimat ankamen – einen Koffer in der Hand und hundert Träume im Kopf. 1985 war das in seinem Fall. Für ihn hat es sich gelohnt – der Weg war manchmal hart, doch kaum drei Jahrzehnte später wurde er Kolumnist beim „Berliner Leben“. Bis heute erinnert er sich an den Geruch der Zootiere ebenso deutlich wie an den ersten Blick auf „die kaputte Kirche“, wie ein halb vergessener Freund die Gedächtniskirche zu nennen pflegte. Kalte Musik und eckige Bewegungen auf der Tanzfläche der Diskothek „Linientreu“ haben sich ebenso in ihn eingebrannt wie die langen Kinonächte im „Royal Palast“.

Dann fiel die Mauer. Kaum eine Gegend von Berlin bezahlte dieses historische Ereignis so teuer wie die Gegend um den Breitscheidplatz. Egal, ob Bikini Haus, Zoopalast oder Europacenter – die Gebäude, die spätestens seit der Teilung Berlins weltberühmt waren, wurden vom Zahn der Zeit gebissen. Neue Attraktionen hingegen wurden fast ausschließlich im Osten der Stadt eröffnet. Seltsame Ideen wie jene, ein Riesenrad auf den Wirtschaftshof des Zoo zu stellen, erwiesen sich als ebenso unausgegoren wie undurchführbar. Spätestens, nachdem der Bahnhof selbst durch den neuen Hauptbahnhof zu einer besseren S-Bahnstation degradiert wurde, schien das Gelände rund um den Zoo einfach unterzugehen. Als ob es die Hängenden Gärten der Semiramis wären, der Koloss von Rhodos oder ähnliche Kinkerlitzchen. Doch nach einigen Jahren nahte Rettung von einer Seite, die eigentlich jeder hätte erwarten können: Unternehmer aller Art weigerten sich zu glauben, dass sie sich mit dem Gelände rund um den Zoo nicht mehr goldene Nasen oder sonstige Körperteile verdienen könnten.

Immer mehr Hotels eröffneten in den alten Jagdgründen. Weltberühmte Häuser wie das Waldorf Astoria waren darunter. Da die Damen, die hier abstiegen, das Geld ihrer zumeist solventen Gatten kompetent verjuxen wollten, war es nur eine Frage der Zeit, bis das alte Bikini Haus zum Design- und Kunstkaufhaus geliftet wurde. Bis aus dem alten Zoopalast wieder ein schmuckes Festival-Kino wurde. 

Sogar die kaputte Kirche wurde so lange saniert, dass mittlerweile keiner mehr wirklich das erfolgreiche Ende der Arbeiten verhindern kann.

Liebe Mitflaneure, derzeit wird darüber verhandelt, ob auch ICEs und andere Fernzüge wieder am Bahnhof Zoo halten. Spätestens dann aber werden wieder junge Menschen hier ihre ersten Schritte durch Berlin beginnen. Mit einem Koffer in der Hand. Und hundert Träumen im Kopf. 

Knud Kohr

 

02 - August 2014
Stadt