Friedrich Liechtenstein – über den Osten, den Westen, Amerika, Arbeit und das Glück.
Friedrich Liechtenstein wurde als Hans-Holger Friedrich geboren und wuchs in Stalinstadt auf, das seit 1961 Eisenhüttenstadt heißt. Offenbar lebt er nahezu besitzlos in Berlin und hat drei erwachsene Kinder. Er ist Koch, Puppenspieler, Schauspieler, Unterhaltungskünstler, Regisseur, Stückeschreiber, Sänger, Musiker, Werbefigur, Internet-Troll und Schmuckeremit. Einem breiten Publikum ist er seit dem Werbespot SUPERGEIL bekannt, der bei YouTube elf Millionen Mal angeklickt wurde. Mit Friedrich Liechtenstein spricht Berliner Leben-Autorin Barbara Sommerer, die in derselben Stadt wie er aufgewachsen ist.
Hast du dich schon in jungen Jahren als Künstler gefühlt?
Ich war ein normaler, eher unscheinbarer Typ. Nun ja, auf der Freilichtbühne habe ich eine Kaninchenfellweste getragen.
Du bist in Eisenhüttenstadt aufgewachsen, fehlt dir der Osten?
Nein, trotz der angeneh-men Erinnerungen. Aber ich bin froh, dass das Selbstmitleid zu Ende ist. Die grundsätzliche Idee finde ich schon tollkühn und großartig, aber der Osten hat immer aufgehört, bevor es geil wurde. Nie wurde etwas zu Ende gedacht. Alles war grau und gemein. Die Menschen waren eingesperrt und obendrein mit dieser Hässlichkeit konfrontiert. Das ist mein Vorwurf, auch wenn der Osten an einem Tropf hing. Es ist nicht mein Lieblingsthema, aber ein Erfahrungsvorteil. Ich kann darüber reden, das können andere nicht. Und wie andere erzählen können, dass sie mal drei Jahre in Nicaragua gewohnt haben, kann ich sagen, ich habe mal in einem Land gelebt, das es nicht mehr gibt.
Was passiert, wenn du sagst, dass du aus Stalinstadt kommst?
Es ist für alle ein Lernfaktor. Seit 2003 gibt es Friedrich Liechtenstein. Er ist ein Produkt aus Fantasie und Wirklichkeit. Ein Mix aus dem, was ich mir gewünscht habe und was zu diesem Zeitpunkt tatsächlich war. Auch wenn es banal klingt und wie eine faule Ausrede, er ist eine Kunstfigur. Aber alle Leute, die mich in der Kunst interessieren, tragen nicht mehr ihren bürgerlichen Namen. Und alle haben auch eine Idee von ihrem Leben, wie es sein soll. Und das habe ich auch.
Du besitzt nichts, bist eigentlich obdachlos, von der Brillenmanufaktur, die dich aufgenommen hat, mal abgesehen. Und trotzdem erscheinst du als freier, reicher Mensch. Nicht arm und nicht Hartz IV.
Interessant, ja. Und trotzdem denken die Leute, ich bin ein Flaneur, ein Eskapist, ein Müßiggänger. Sie sagen: „Ach, der schlawinert so durchs Leben. Das könnte ich ja auch ...“ Es macht mir Spaß, diesen Eindruck zu unterstützen, aber die Wahrheit ist natürlich, dass ich von früh bis spät arbeite. Das behaupten immer Ärzte von sich, dass sie so sagenhaft viel arbeiten würden. Also ich stehe früh auf, falle abends ins Bett und wenn ich träume, dann arbeite ich weiter. Aber das will niemand sehen.
Als Schmuckeremit musst du mit deinem Anblick unterhalten. Ist das wirklich so schwer?
Die Technik des Schmuckeremiten ist nicht so einfach. Es geht um Aufmerksamkeit. Interessanterweise ist das ein Job im absoluten Kerngeschäft unserer Zeit. Die Marken von heute müssen Geschichten erzählen. Ausgedachte Geschichten gibt es genug, aber wenn sie nicht frei erfunden sind, sondern wahr, dann haben sie einen viel größeren Wert. Das ist die heilige Kuh, um die es geht.
Und da bist du jetzt drin?
Und immer noch ein bisschen draußen. Ich schmiege mich an Situationen an und dann freue ich mich. Aber das Innere meiner Festung bleibt draußen. Ich behalte die Freiheit zu kommentieren oder zu verlassen, denn es geht um meine Interessen und meine Auffassung von Kunst und um eine klare Abgrenzung. Es gibt Leute, die versuchen, mich zu instrumentalisieren und irgendetwas mit mir zu machen. Sie denken, sie haben mich und haben mich eben doch nicht.
Gibt es etwas, das dir mal richtig weh getan hat?
Vieles. Vieles hat mir weh getan. Der Tod meiner Eltern. Das war heftig. Oder, dass die Stadt mir kein Geld mehr für meine Projekte gegeben hat, obwohl ich viel für sie getan habe. Oder auch in der Liebe.
Was fehlt dir, außer Geld?
Viel. Aber ich glaube, jedem fehlt irgendetwas. Und doch bin ich happy. Es ist lustig, wie weit man kommen kann. Oder wo man so landen kann in seinem Leben, obwohl man schon ein alter Mann ist. Und wenn ich morgen sterben würde, würde ich sagen, wie toll war das denn und würde lächeln. Und dann gibt es diese komische Erfahrung: das Glück. Wenn man den Seelenfrieden nicht nur in sich sucht, sondern mit der Welt hat. Wenn man Papa wird zum Beispiel. Und man steht da, mit so einem kleinen Typen im Arm. Dann ist man voll im Glückszustand. Oder man ist frisch verliebt. Und diesen Zustand habe ich zur Zeit nicht. Manchmal weht mich so ein Wind an, wie in Mailand. Da gab es ein paar Menschen, die neu in meine Umlaufbahn geraten sind. Im Moment fehlt mir das Glücksgefühl. Aber man kann nicht alles selbst bestimmen. Erfolg hat viele Väter. Und Misserfolg auch. Man ist nicht immer allein verantwortlich. „Mach doch! Wenn du willst, dann schaffst du es auch!“ Das stimmt nicht. Es sind viele andere, die dafür sorgen, dass es nicht klappt. Oder, dass es klappt.
Der Erfolg von SUPERGEIL ging bis Amerika. Würdest du gern der Schmuckeremit vom Weißen Haus werden?
Vom Weißen Haus muss nicht sein. Aber ich finde Amerika wirklich interessant. Von hier dorthin zu schauen, ist wie damals vom Osten in den Westen geguckt zu haben. Es ist das gleiche Phänomen. Die Arbeitslosigkeit, keine Krankenversicherung. Aber alles Großartige kommt eben auch von dort. Die Amis sind lustig drauf. Die schönste Popmusik, die ich höre; tolle Filme; eine irre Computerbranche. Es wird mehr für die neuen Technologien getan, als wir denken. Und nicht zuletzt – Berge, hohe Bäume.
Berge, Bäume? Da fällt mir die Sächsische Schweiz ein.
Zu klein.
Die Ostsee?
Zu klein.
Lieber die Strände in Amerika?
Ich glaube, dass die Strände einfach grandios sind. Ich denke an Riesenwellen, schönstes Wasser, Inseln und Boote. Es ist bestimmt um ein Vielfaches schöner als an der Ostsee.
Danke für das Gespräch.
In Friedrich Liechtensteins Song Belgique, Belgique aus seinem neuen Album Bad Gastein heißt es am Ende, dass das Leben sehr kurz sein kann, wenn man sich auf zu wenig Dinge konzentriert.
Friedrich Liechtensteins neustes Projekt Bad Gastein erscheint jetzt im Sommer. Alle Infos und Pre-Order unter
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