
Heute: Umbauarbeiten seit 300 Jahren!
Liebe Mitflaneure!
Wenn man Ihren Flaneur fragt, wo in Berlin er seiner Lieblingsbeschäftigung am einfachsten nachgehen kann, muss er nicht lange nachdenken. Sondern wird gleich und mit voller Überzeugung sagen: „Am Potsdamer Platz!“
Anfang des 18. Jahrhunderts lag der Potsdamer Platz unmittelbar vor der damaligen Stadtmauer und wurde schnell zum Verkehrsknotenpunkt, der Ostpreußen mit dem Rheinland verband.
Um 1900 wurde die Polizei hier mit den ersten Verkehrsstaus konfrontiert. 1902 konnte man erstmals in eine U-Bahn steigen, und ab 1924 stand hier eine Verkehrsampel.
Es mussten allerdings noch zwei Weltkriege und der Bau einer Mauer überstanden werden, bis Ihr Flaneur den Potsdamer Platz erstmalig betrat. Das geschah Mitte der 1980er Jahre. Im Januar 1987 bezog er eine Wohnung im „Bellevue Tower“, dem vielleicht hässlichsten Gebäude, das in der Stadt jemals errichtet wurde. Knapp 30 Quadratmeter pro Wohneinheit, besiedelt von wimmelnden Kakerlaken und ungefähr 100 Meter von der Mauer entfernt.
Die fiel 1989. Plötzlich hatte Ihr Flaneur freie Sicht auf Weltgeschichte, die direkt vor seinem Fenster geschah. Ein halbes Jahr lang war keine Banane zu bekommen. Dafür hatte man vom Dach aus freie Sicht auf die Wiederaufführung von Pink Floyds „The Wall“. Und Anja war zu Gast. Und Tanja. Und Iris. Keiner kam vor vier Uhr morgens ins Bett. Alles schien möglich in dieser Zeit. Außer Bananen zu bekommen natürlich. Der Platz wurde zur hässlichen Brache. Ihr Flaneur mietete für 60 Mark pro Monat eine Wohnung im Prenzlauer Berg. Wie eigentlich alle damals.
Der Potsdamer Platz wurde von Investoren an sich gerissen, die Ihr Flaneur für unheilbar böse hielt. Auch diese Meinung hatte damals jeder. Wenn er mit Ihrem Berichterstatter befreundet war.
In letzter Zeit geschieht nun etwas völlig Unglaubliches: Der Potsdamer Platz scheint eine Gestalt angenommen zu haben, die seine Planer in den vergangenen Jahrzehnten vor Augen hatten. Marlene-Dietrich-Platz, Atrium Tower, sogar das Sony Center wirkt mit seiner Überdachung und den sich aneinander reihenden Großkinos geradezu harmonisch.
Harmonie? In der Innenstadt von Berlin? Ihr Flaneur kann es noch gar nicht glauben. Aber dieses Kunststück scheint Kreise zu ziehen. Der sich direkt anschließende Leipziger Platz wurde mittlerweile mit viel Geld und konkreten Plänen umgebaut. Und wieder scheint es zu gelingen.
Verwirrt beschließt der Flaneur, sich ein Känguru-Steak zu genehmigen. Vielleicht wird er sogar Anja anrufen und dazu einladen. Oder Tanja. Oder Iris? Es scheint wieder vieles möglich zu sein in Berlin.
Knud Kohr