Mit differenziertem Blick erinnert die beeindruckende Ausstellung „Tanz auf dem Vulkan“ im Ephraim-Palais an die legendären Zwanzigerjahre, als Berlin „Sehnsuchtsmetropole“ war und zum Zentrum der Avantgarde auf allen Gebieten der Kunst und Kultur wurde.
Wieder einmal ist das Berlin der Zwanzigerjahre Thema einer Ausstellung. Einen Mythos zu bedienen, ist offenbar immer ein dankbares und lohnendes Projekt. Diesmal wagte das Stadtmuseum sogar einen „ganzheitlichen Blick, der die politische, soziale und geistige Entwicklung mit deren künstlerischen Reflexionen verknüpft“. So umfasst die imposante Schau über fünfhundert Werke von zweihundert Malern, Grafikern, Fotografen, Kunsthandwerkern und Modeschöpfern, allesamt fast ausschließlich aus den Beständen des Stadtmuseums. Die Zwischenkriegszeit mit all ihren Facetten zu dokumentieren, erscheint freilich kühn, dennoch gelingt es den Ausstellungsmachern in den drei Etagen des Ephraim-Palais, dem Besucher die sogenannten Goldenen Zwanziger in all ihrer Widersprüchlichkeit und Faszination begreifbar zu machen. In achtzehn Themenräumen zeigt sich das Berlin der Weimarer Republik in seinem Glanz und Elend genauso wie in seiner kulturellen und künstlerischen Vielfalt, die das Leben mit dem sprichwörtlichen Tempo der Großstadt widerspiegeln. Bereits unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges und dem Untergang des Kaiserreiches entstand ein gesellschaftliches Klima, dem Kritiker mahnend gegenüberstanden: „Berlin, halt ein! Besinne Dich, Dein Tänzer ist der Tod“, warnten Plakate auf den Litfaßsäulen, als die Berliner eine unbändige Vergnügungssucht und Tanzwut erfasste. Existenzangst und Arbeitslosigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung fanden darin ihren Ausgleich. Erst 1924 begannen die „Goldenen Zwanziger Jahre“, begünstigt durch neue Kredite und Importe, eine kurze Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs, in der die Viermillionenstadt in jeder Hinsicht zur Weltmetropole und zum „Sehnsuchtsort“ aufstieg.
Zeitgenossen, die die Stadt damals erlebten, waren schlicht überwältigt angesichts der atemberaubenden Atmosphäre und aufgeheizten Stimmung allerorten. „Aber auch wie ein brodelnder Kessel war die Hauptstadt unserer neuen deutschen Republik. Wer den Kessel heizte, sah man nicht; man sah ihn nur lustig brodeln und fühlte die immer stärker werdende Hitze“, so der Maler und Grafiker George Grosz. Die Stadt hielt scheinbar für jeden das passende Angebot bereit, vor allem auch Künstler und Literaten konnten sich ihrer Faszination nicht entziehen: „Wir nannten sie arrogant, versnobt, parvenühaft, kulturlos, ordinär. Insgeheim aber sah sie jeder als das Ziel seiner Wünsche …“, schrieb Carl Zuckmayer in seinen Erinnerungen. In dieser „beschleunigten Daseinsform“ zählte Berlin in jener Zeit 15 000 Betriebe der Metall- und 80 000 Betriebe der Textilindustrie mit zusammen über 600 000 Beschäftigten, insgesamt 2,3 Millionen Erwerbstätige. Mit dem Ausbau der Verkehrswege, der flächendeckenden Stromversorgung, des Rundfunks, der Film- und Medienkonzerne sowie der Unterhaltungsindustrie wurde die Stadt in kürzester Zeit zur größten Industriemetropole Europas, zur Stadt des „rasenden Tempos“. Der Film „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ von Walther Ruttmann aus dem Jahr 1927 ist eine Hommage an diese moderne, von Technik und Tempo dominierte „Weltmetropole“. Kritischer standen Künstler dem technologischen Fortschritt mit seinen Begleiterscheinungen gegenüber. Sie karikierten die Neureichen und Spekulanten oder interessierten sich für die Milieus derer, die nicht zu den Besuchern der angesagten Vergnügungsstätten links und rechts des Kurfürstendamms gehörten. In der Ausstellung sind Werke vieler bekannter, aber auch unbekannter Künstler zu sehen, die neben den Existenzbedingungen der Bevölkerung das vielfältige Kulturleben einer geradezu expandierenden Vergnügungsindustrie dokumentieren. Doch Berlin wurde plötzlich auch zum Zentrum der Avantgarde auf allen Gebieten der Künste. Piscators Avantgardetheater, politisches Kabarett, Ausstattungsrevues, expressionistische Filme, Ausdruckstanz und Fotografie, moderne Architektur, selbstbewusste Frauenmode sowie Rundfunk als neues Medium machten Berlin als damals drittgrößte Stadt der Welt auch zum einzigartigen Kreativlabor. Auch war keine andere deutsche Stadt mit dem Mythos des Verruchten so eng verbunden, denn die junge Demokratie der Weimarer Republik ließ bis dahin ungeahnte Freiheiten zu. „Die Stadt erschien zugleich erbarmungswürdig und verführerisch; grau, schäbig, verkommen, aber doch vibrierend von nervöser Vitalität, gleißend, glitzernd, phosphoreszierend, hektisch animiert, voll Spannung und Versprechen. Ich war im siebenten Himmel …“, schrieb Klaus Mann 1942.
Schließlich scheiterten die Zwanzigerjahre an der Überforderung der Metropole, an ihren unüberbrückbaren Widersprüchen, politischen und sozialen Verwerfungen. So ist der letzte Raum der Ausstellung dem Jahr gewidmet, in dem die Diktatur des Dritten Reiches ihren Anfang nahm und die legendär gewordenen Jahre zwischen den zwei Weltkriegen beendete.
Reinhard Wahren
Information
Tanz auf dem Vulkan
Das Berlin der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste
Bis 31. Januar 2016
Ephraim-Palais
Poststraße 16, 10178 Berlin
Begleitprogramm und Führungen unter www.stadtmuseum.de