Volksvertreter, die in Würste beißen – das ist seit jeher ein beliebtes Bildmotiv. Doch es sagt nur die halbe Wahrheit. Denn in Berlin gehören Politik und Feinschmeckerkultur heute eng zusammen. Anlässlich der Abgeordnetenhauswahl bietet die hochgelobte „Weinbar Schwein“ am 18. September 2016 in einem speziellen Wahlmenü das Beste beider Welten – und für jede Spitzenpartei einen eigenen Gang.
Helmut Kohls rustikales Bekenntnis zum Saumagen dürfte noch authentisch gewesen sein. Doch schon Joschka Fischers Demonstration seiner Bodenständigkeit war eher ein Trick für die Medien. Zu seiner Vereidigung als Umweltminister trug er 1985 zwar die legendären Turnschuhe – doch gefeiert wurde danach schön elitär im Wiesbadener Feinschmeckertempel „Die Ente“. Danach bekannte sich Gerhard Schröder zum maßgeschneiderten Zwirn, biss aber im Gegenzug auffallend häufig öffentlich in Bratwürste. Im Kampf um Mehrheiten dienten deftige Essgewohnheiten schon immer als bewährtes Mittel – doch das gilt schon lange nur noch vor den Kulissen. Bereits Walter Scheel hatte in den Siebzigerjahren Sterneköche nach Bonn geholt. Für die Gäste der Bundeskanzlerin kocht mit Franz Raneburger heute ein Sterne-Koch, der mit dem „Bamberger Reiter“ gleich nach der Wiedervereinigung Spitzengastronomie in Berlin zu etablieren begann. Spätestens mit dem „regierenden Partymeister“ Klaus Wowereit war dann auch der Allgemeinheit klar, dass sich Volksnähe und Feinschmeckertum nicht zwingend widersprechen. Einer, der diese Entwicklung aus nächster Nähe beobachtet hat, ist der Gastronomieunternehmer und Sternekoch Hans-Peter Wodarz. Als er seine Karriere in den Siebzigerjahren in München begann, war Berlin auf der Landkarte der Edelgastronomie noch Ödland. Und politisch eine Insel. „Die Stadt hat in den letzten Jahren eine grandiose Entwicklung erlebt“, sagt Wodarz. In den Neunzigern kam er nach Berlin, um der Szene mit seinem Varieté- und Feinschmeckerspektakel „Pomp, Duck & Circumstance“ Auftrieb zu geben. Bis heute ist der Pionier Impulsgeber – und das Zusammenrücken von Politik und Genusskultur lässt ihn nicht los. Am 18. September 2016 wird in Berlin wieder gewählt. Darum erdachte sich Wodarz zusammen mit den gastronomischen Shooting Stars der neuen „Weinbar Schwein“ in Mitte ein charmantes und exklusives „Wahlmenü“.
Unaufgeregt und doch stilvoll liegt das „Schwein“ in einem beschaulichen Winkel mit Sicht zur Elisabethkirche. Im krassen Namen versteckt sich ein kleiner Witz: „Wir haben uns für das Wort entschieden, weil zwei der drei Dinge drin vorkommen, die wir hier machen“, erklärt Patron David Monnie: „Wein und richtig gutes Essen – wenn auch längst nicht nur Schwein.“ Monnie, einst Barchef in der legendären „Bar am Lützowplatz“, ist ein leidenschaftlicher Gastgeber. Schon wenige Monate nach Eröffnung an Silvester 2015 ist sein Lokal von allen wichtigen Kritikern gesegnet worden. Als Chef steht mit Christopher Kümper ein perfektionistischer Draufgänger in der Küche. Mit handwerklicher Lust, mitreißender Energie und beeindruckend guter Laune rauft sich der noch nicht mal Dreißigjährige mit neuen Noten, Texturen und Geschmackserlebnissen, bis sie seinen dezidierten Vorstellungen entsprechen: Ecken und Kanten haben seine Geschmäcker und aus jedem Produkt arbeitet er die eigene Stimme heraus. Für die Wahlparty im Schwein hat er ein Menü kreiert, in dem unterschiedliche Parteien mit je einem eigenen Gang vertreten sind. Zum Auftakt kommt die FDP mit einer goldgelben Maissuppe zu Ehren, die durch eine Dekoration aus Makrele und ein paar zart angemachten Graupen ihre Volksnähe beweist. Den Grünen ist ein verwegener Salat aus zartem Fenchel, kräftiger Petersilie und Algenkaviar gewidmet, darauf lagert eine schneeweiße Burrata – eine Art Mozzarella. Der SPD gehört der Fischgang mit einem gedämpften Seehecht in Tomaten mit Liebstöckel. Für die CDU ruht ein Stück Bauch vom schwarzen Schwein in einer vollmundigen Brühe – und dazu ein Blutwurstdumpling mit scharfer Ingwernote. Der Nachtisch als Gruß an die Linke lässt dann, wie es sich in einer Demokratie gehört, nochmal die verschiedensten Stimmen verlauten: pragmatischer Erdbeerkuchen, mehrheitsfähiges Dulce de Leche und ein paar provokante Erbsensprossen. Eine Empfehlung lassen sich Monnie und Kümper als kulinarische Diplomaten natürlich nicht entlocken. Auf einen Kommentar verzichten sie trotzdem nicht. Der speziell für die AfD kreierte Gang trägt nämlich den Titel „Das Letzte zum Schluss“ – und besteht aus orientalisch gewürztem Falafel.
Wenn spät am Wahlabend die Prognosen stehen, ist man auf Freude ebenso vorbereitet wie auf Frust. Das dritte Standbein des Lokals sind nämlich die Getränke. Nebst 120 charakterstarken Weinen hat sich das Schwein auf Gin spezialisiert. 85 Sorten stehen in den Regalen hinter den beiden Bartresen. Sie werden mit größtenteils von kleinen Manufakturen hergestellten Tonics abgestimmt. Egal darum, ob die Mehrheit am Ende das Kreuzchen am gewünschten Ort gemacht haben wird: Der Kater, den man nach dieser Party mitnimmt, wird auf jeden Fall sehr viel edler sein als der nach zuviel Bier zur Currywurst.
Susann Sitzler