In Berlin schmeckt’s

Vom Eckimbiss bis zum gestärkten weißen Tischtuch – in Berlin kann man es sich an immer neuen Orten schmecken lassen, und es gibt kaum einen Winkel, wo sich nicht die eine oder andere manchmal auch ungewohnte Köstlichkeit entdecken ließe. Unsere Autorin Susann Sitzler ist schon einmal vorgegangen.

Verwegen in Friedrichshain

Der Name „Morsh“ ist natürlich ein Witz. Den man sich leisten kann, wenn man so unmorsch und geschmeidig ist wie die Crew, die das „Morsh“ in Friedrichshain betreibt. Ein kleines Ecklokal, dessen Vintage-Interieur auch in einem WG-Wohnzimmer bestehen könnte, aber anderswo kaum so souverän mit Plüscheichhörnchen und Retrolampen kombiniert sein dürfte wie hier. Das Team um den erst 24-jährigen Küchenchef Laurens Friedl arbeitet so verwegen und leidenschaftlich wie das Lokal aussieht. Zum Anfang gibt es Tatar vom Ostseeschnäpel: einen Ring aus roher Maräne, der sanft im Mund zergeht und die Zartheit der Radieschenscheiben zurücklässt, die sich in ein paar Tropfen Zitronenkefir schmiegten. Dann kommen intensiver Bratspargel an Blutampfer, ein Stück Lamm mit der Würze von säuerlichem Sumach und irgendwann, am Ende, eine eisige Mousse mit knackigen Brausekristallen. Die Weinbegleitung aus europäischen Lagen zielt nicht auf Harmonie, sondern verschärft die Akzente, macht Geschmacksfrequenzen der Speisen erkennbar, die sonst verborgen geblieben wären. Tollkühn und doch kein bisschen böse – das ist der Groove des Morsh. Kredenzt von einem mit äußerster Disziplin anarchischen Trupp wuschelköpfiger und energiegeladener Gastronomiefreaks. In diesem kleinen Lokal in Friedrichshain haben sie einen Traum verwirklicht und lassen uns für ein paar Stunden mitträumen. 

Morsh, Mainzer Straße 20, Friedrichshain. Tel. 030/705 091 02
www.morsh.me, Geöffnet Di ab 19, Mi – Fr ab 12, Sa ab 10, bis jeweils 22 Uhr.
So 10 –18 Uhr. Reservierung empfohlen, Menü (3 – 6 Gänge) 39,00 – 95,00 Euro
Vegetarische Gerichte: bedingt (auf Anmeldung), Vegane Gerichte: nein
Behindertengerecht: nein

 


Vorposten der Hipness [Foto: www.cafedujardin.de]

Ruhe vor dem Hipness-Sturm

So richtig viel los ist noch nicht im Wedding. Es überwiegen graue Fassaden, dubiose Schänken und Bars, die nicht retro, sondern nur von der Zeit überholt sind. Doch die Gegend ist im Kommen, darüber ist sich die Szene einig. Noch haben keine Modeketten dem Viertel die Kanten geglättet, sind die Preise noch nicht in die Höhe gentrifiziert. Noch sieht man hier keine Instagram-Touristenschwärme ihre Kaffeetasse fotografieren. Doch wenn sie kommen, werden sie wohl im „Dujardin“ beginnen. Am Ufer der Panke schafft das Café einen Vorposten der Hipness, in dem genau das zusammenkommt, was andernorts als Berliner Stil empfunden wird: Mit gekonnter Beiläufigkeit kombiniertes Mobiliar aus vergangenen Jahrzehnten, Personal mit Hang zum stylischen Duzen und die Großzügigkeit, Gäste stundenlang in Ruhe vor einem Stück Kuchen und einem Kaffee sitzen zu lassen. Wer nicht auf die Details achtet, sieht hier einfach ein unprätentiöses Café, wo abends zuweilen auch ein Film gezeigt oder ein Tänzchen gewagt wird. Doch wer nach oben schaut, sieht die Makramee-Blumenampeln an der Decke und weiß, dass das nicht Relikt aus Omas Zeiten ist, sondern das liebste Wohnaccessoire zukunftsmüder Hipster am Anfang des 21. Jahrhunderts. Sehr bald wird es hier mit der verwunschenen Ruhe vorbei sein. Bis dahin sitzt man gemütlich im Dujardin und kann schon jetzt sagen, dass man hier die Zukunft des Bezirks kommen sah.

Café Dujardin, Uferstraße 12, Wedding. Tel. 030/52 66 68 05
www.cafedujardin.de, Geöffnet Mo – Fr ab 10 Uhr, Sa/So ab 11 Uhr
Speisen ab 3,00 Euro, 
Vegetarische Gerichte: ja, Vegane Gerichte: nein
Behindertengerecht: nein

 


Kochen aus Liebe [Foto: Lars Bösch]

Beste Reste

Glücklich scheinen hier drin alle zu sein – die giggelnden Freundinnen am Tisch im Fenster, die muntere Männergruppe an der Tafel beim Eingang, die strahlend fröhlichen Kellnerinnen, die bald die Vorspeise bringen: kross gebratene Polentascheiben auf einem Salatbett. Die Ravioli des Hauptgangs sind mit einem zarten Teig aus Süßkartoffeln gefüllt. Alles hat den Charme des mit Liebe Hausgemachten. Tatsächlich kochen hier keine Profis, sondern Menschen mit ehrenamtlicher Überzeugung. Die Idee des Lokals ist nämlich radikal: Alles, was es hier zu essen gibt, wurde gespendet. Möhrchen, die auch für den Biosupermarkt zu krumm gewachsen sind, falsch geliefert oder überzählig bestellte Ware, sowie Zutaten, die völlig in Ordnung sind, aber irgendwelchen Verkaufsnormen nicht entsprechen. Die Tagesangebote richten sich nach den gespendeten Zutaten. Auf diese Weise sind Kreativität und Überraschung sichergestellt – für die Kochenden und die Gäste. Betrieben wird das „Restlos glücklich“ von einem gleichnamigen Verein, der das Ziel hat, der Verschwendung von Lebensmitteln etwas entgegenzusetzen. Die Einkünfte fließen in Kochworkshops an Schulen und andere Aufklärungsarbeit für nachhaltigen Konsum. Es ist ein ganz neuer Ansatz für glückliches Essen und er kann restlos überzeugen.

Restlos glücklich, Kienitzer Straße 22, Neukölln. Tel.: 0151/64 50 71 51 
restlos-gluecklich.berlin, Geöffnet Mi – Sa 18 – 22.30 Uhr. Reservierung empfohlen,
Speisen ab 6 Euro, 3-Gang-Menu 21,00 Euro (Fr und Sa)
Vegetarische Gerichte: ja, Vegane Gerichte: auf Anfrage möglich
Behindertengerecht: nein

 

07 - Frühjahr 2017