Krisen verhindern, bevor sie entstehen

Das Präventionsprojekt der AG Babylotse Berlin richtet sich an alle Familien, deren Kinder in den sechs großen Berliner Perinatalzentren geboren werden und bietet Hilfe bei kleinen und großen Sorgen. 

„Familienzuwachs kann immer eine große Ausnahmesituation bedeuten, auch für stabilste Familienstrukturen“, sagt Christine Klapp, Oberärztin für Geburtsmedizin am Virchow-Klinikum der Charité. Seit 2012 leitet sie mit Prof. Wolfgang Henrich, dem Direktor der Geburtsklinik, das Projekt „Babylotsen“.

„Wie schnell kann es passieren, dass Eltern nicht mehr weiter wissen, sich auf eine Weise überfordert fühlen, wie sie es vorher noch nie gespürt haben“, so Klapp, die selbst drei Söhne hat.

Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die  Belastungen sehr unterschiedlicher Natur sein können: ein Krankheitsfall in der Familie oder weitere Kinder machen es manchmal erforderlich, dass eine Haushaltshilfe gebraucht wird. Für Frauen, die  unter Problemen in der Partnerschaft leiden oder körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, sind die Babylotsen ebenfalls Anlaufstelle. Auch bei finanziellen  Schwierigkeiten oder für Behördengänge kann ein beratendes Gespräch oder ein konkretes Hilfsangebot sinnvoll sein. 

Immer weniger Hebammen stehen zur Verfügung, längst können nicht mehr alle Mütter nach der Geburt auch weiter zu Hause betreut werden. Die steigenden Flüchtlingszahlen erfordern ebenfalls mehr  Hilfsangebote. „Wir arbeiten auch mit Dolmetschern an unserer Seite,“ sagt Susanne Preißel, die seit 2015  als Babylotsin  tätig ist. Ihren beruflichen Abschluss hat sie in Sozialer Arbeit gemacht. „Durch den direkten Kontakt können schneller schwerwiegende Probleme entdeckt werden, bei denen zum Wohl des Kindes  ein Einschreiten des Sozialdienstes erforderlich ist.“

„Vor allem wollen wir junge Eltern in ihrer Kompetenz stärken“, ergänzt Klapp, „die Babylotsinnen stehen jeder Mutter in den sechs großen Geburtskliniken Berlins zur Verfügung.“ Mit dem Ziel, das Projekt auszubauen und allen werdenden und jungen Eltern Hilfe zugänglich zu machen, hat sich in diesem Jahr die AG Berlin gegründet. Deutschlandweit sind bereits über 30 Kliniken mit dabei.

Ein Drittel der Mütter, die in den  beiden Häusern der Charité entbinden, nimmt eine Beratung in Anspruch. Bei der Schwangerenberatung, spätestens aber zur Geburt, stellen Ärzte oder Hebammen im Rahmen der Anamnese Fragen, die Anhalt für Belastung oder Überforderung der jeweiligen Familie zeigen. Die Babylotsin klärt dann, welche Art von Unterstützung für die Familie sinnvoll sein kann. Es werden Kontakte zu Institutionen vermittelt. Dies können eine Haushaltshilfe, Hebamme, Elternhilfe oder Familienzentren, Paten oder die Sozialberatung sein. Auch der Kinder-Jugend-Gesundheitsdienst bietet Hausbesuche an. Nach drei bis vier Wochen und nach drei bis vier Monaten fragen die Babylotsinnen bei den Familien mit größerem Unterstützungsbedarf nach und prüfen, ob die Probleme gelöst sind. Derzeit arbeiten neben Klapp noch zwei Mitstreiterinnen aus dem Ruhestand als Leitungsteam weitgehend ehrenamtlich, daneben drei Babylotsinnen mit Zeitverträgen.

Der Bedarf nach Unterstützung steigt, denn die Geburtenzahl erhöht sich und eine Regelfinanzierung besteht noch nicht. Das Projekt hat sich 2016 vor allem aus Spenden von Stiftungen, Firmen und privaten Organisationen finanziert, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gab eine Anschubfinanzierung. Klapp ist optimistisch: „Es stehen noch Gespräche mit einigen Politikern aus, ich hoffe sehr, dort eine Regelfinanzierung für die AG und prospektiv für alle Kliniken in Berlin zu erwirken, die uns Planungssicherheit gibt, denn unsere Babylotsinnen arbeiten zeitweilig unter prekären Verhältnissen, ohne längerfristige Sicherheit.“ 

Annette Kraß

 

08 - Herbst/Winter 2017