Vom Eckimbiss bis zum gestärkten weißen Tischtuch – in Berlin kann man es sich an immer neuen Orten schmecken lassen, und es gibt kaum einen Winkel, wo sich nicht die eine oder andere manchmal auch ungewohnte Köstlichkeit entdecken ließe. Unsere Autorin Susann Sitzler ist schon einmal vorgegangen.
Ungerührt und schnörkellos in Kreuzkölln
Wenn man früh am Abend kommt, liegt der Chef vielleicht noch im Eingangsbereich und grüßt entspannt aus der Hängematte. Doch die Nonchalance täuscht: Im neuen Lokal Rusty in Kreuzkölln herrscht ganz bestimmt kein Schlendrian. Wer hier entspannen kann, sind die Gäste.
Die Karte in dem schnörkellos eingerichteten Ecklokal ist dezidiert: Es gibt Fleisch, Gemüse und Kartoffeln. Doch da hört die demonstrative Ungerührtheit auch schon auf. Die Vorspeise mit dem sachlichen Titel „Kartoffelnudeln, Kohlrabi, Mandeln“ präsentiert sich als sagenhafte Einheit aus bissfest elastischen Kartoffelspaghetti, um die sich eine perfekt abgeschmeckte Kohlrabipaste schmiegt, von ein paar Mandelstückchen reizvoll aufgewiegelt. Die Caponata – geschmorte Aubergine mit Tomaten – ist köstlich fruchtig. Das Fleisch der 18 Stunden im Steamer gegarten Short Ribs zerfällt unter der Gabel und ist doch voller Kraft. Beim Selleriepüree fragt man sich, warum man sich nicht ausschließlich davon ernähren darf. Das Rusty bietet gehobene, aber unkomplizierte und bis aufs letzte Löffelchen Dessert überzeugende Küche – für einen besonderen Abend ebenso wie für eine kleine Auszeit an einem ganz normalen Wochentag: Es gibt nämlich auch einen täglichen Mittagstisch.
Rusty, Sanderstraße 17, Neukölln. Tel. 030/23 93 96 63, www.rusty-rusty.de
Geöffnet Mo – Fr 12 bis 16 und 18 bis 23 Uhr. Sa/Feiertage 18 bis 23 Uhr. So geschlossen.
Abends Reservierung empfohlen. Mittagstisch 7,50 bis 9,50 Euro, Hauptgerichte 10 bis 19 Euro,
Vegetarische Gerichte: ja, Vegane Gerichte: nein,
Behindertengerecht: nein
Lackschwarze Wände im Toca Rouge [Foto: Toca Rouge]
Die Nuller leben in Mitte
Hypes gehören zur Berliner Gastroszene wie Ketchup zur Currywurst. Das normale Publikum wartet ab. Lokale, die den Übergang vom Anfangsrummel in den Alltagsbetrieb überstehen, können interessant sein. Richtig spannend werden sie, wenn sie den Schritt zum Stammlokal schaffen. Ein solches Lokal ist das Toca Rouge am entlegenen Ende der Torstraße. Als es 2006 eröffnet wurde, hielt die Szene den Atem an: Wie verwegen, in einem komplett lackschwarz gestrichenen, nur spärlich beleuchteten Lokal eng an den nächsten Gast gequetscht moderne chinesische Küche zu ordern, deren Gerichte Namen wie „Deep Throat Avocado“ oder „Bailing’s Lips“ tragen. Längst kann man hier wieder normal atmen. Doch noch immer ist der Service so flink und freundlich wie am Anfang und sind vor allem die Speisen so überzeugend wie je. Etwa die ungeschlagene Vorspeise „Stop Making Sense“, für die sich Stücke von feinem Hähnchenfilet auf bitterzarten Radicchio stapeln, besprenkelt mit einer fantastisch gewürzten Mischung aus Frühlingszwiebeln und Ingwer. Die Hipster fotografieren längst woanders ihr Essen. Doch das Toca Rouge ist zum Mitte-Klassiker geworden. Danken wir also den Szenetouristen, wenn sie uns mal wieder irgendwo den Weg versperren: Es hat auch Vorteile, in einer Stadt zu leben, wo Hypes nicht nur kreative Strohfeuer hervorbringen, sondern immer wieder auch anhaltende Qualität.
Toca Rouge, Torstraße 195, Mitte. Tel. 030/84 71 21 42
tocarouge.de
Geöffnet Mo – Fr ab 12 Uhr, Sa/So ab 17 Uhr
Speisen ab 4,50 Euro, Vegetarische Gerichte: ja, Vegane Gerichte: nein
Behindertengerecht: nein
Gute Drinks, gute Musik [Foto: © The Hat Bar Berlin]
Jazzglück in Charlottenburg
S-Bahn-Bogen in Berlin eignen sich bestens für gastronomische Unternehmungen: die gewölbte Decke vermittelt Geborgenheit und Atmosphäre und die rohen Backsteinwände ermöglichen automatisch eine kleine Zeitreise in die gemütliche, vordigitale Zeit. Ein besonderes Schmuckstück dieser Art ist „The Hat“ in Charlottenburg. Eine klassische Bar nach amerikanischer Ausprägung: langer Tresen, rohe Wände, gedämpftes Licht.
Barchef Emir Sombecki hat schon viele Preise gewonnen für seine Kompositionen mit Rum oder Gin, doch es gibt natürlich auch Bier und Wein. Vor allem aber gibt es Musik. The Hat ist eine Jazz-Bar, in der jeden Abend gegen 22 Uhr ein Gastgeber das Publikum begrüßt und dann den Musikern die schmale, langgezogene Bühne überlässt. Jeden Abend spielen andere Künstler und immer mal wieder mischt sich ein Spontangast dazu. Und wo bleibt die Kulinarik? Ganz einfach: Berauscht von den Drinks und beschwingt von der Musik gibt es nichts Besseres, als beim Ableger des legendären „Bier’s“-Imbiss direkt gegenüber mit einer krossen Portion Pommes mit oder ohne Currywurst Kopf und Bauch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen zu lassen.
The Hat Bar, Lotte-Lenya-Bogen 550, Charlottenburg.
thehatbar.de
Geöffnet täglich ab 20 Uhr, Livemusik ab 22 Uhr
Cocktails ab 9 Euro, Eintritt frei
Behindertengerecht: bedingt
Sonnendurchflutete Lebendigkeit zu jeder Tageszeit [Foto: © Markus Braumann]
Frühstück, wenn der Magen ruft in Wilmersdorf
Natürlich ist gegen Frühstück nichts einzuwenden. Wenn es bloß nicht immer so früh wäre. In dieser Hinsicht ist Berlin schon sehr großzügig. An vielen Orten bekommt man seinen Käse- und Wurstaufschnitt, seine Pasten und Vitaminschocks bis in den späten Nachmittag hinein. Doch was ist mit denen, deren Magen auch um 17 Uhr noch von einem Jetlag zugeschnürt ist oder die zwar zeitig, aber nicht in typischer Berliner Weise kalt frühstücken wollen? Für all jene hat in diesem Jahr das „Benedict“ am Ludwigkirchplatz geöffnet: ein schönes, stilvolles Lokal, das fast ausschließlich üppige Frühstücke anbietet – und zwar vierundzwanzig Stunden am Tag und in solider Qualität. Das Interieur mit Palmentapeten und samtigen Fauteuils verbindet die existentielle Gemütlichkeit einer gepflegten Hotellobby mit der sonnendurchfluteten Lebendigkeit südlicher Städte, und zwar auch dann, wenn vor den Fenstern Nacht ist. Tatsächlich ist das Benedict ein Ableger einer israelischen Kette. Davon zeugt auch die Internationalität der Speisen: Vom Full British Breakfast über pochierte Eier auf Toast und europäische Varianten bis zum orientalischen Gemüserührei Shakshuka und der russischen Frühstückstafel steht alles auf der Karte, womit man den Tag – und zwar zu jeder Tageszeit – beginnen kann.
Benedict, Uhlandstraße 49, Wilmersdorf. Tel. 030/99 40 40 997
benedict-breakfast.de
Geöffnet täglich 0 bis 24 Uhr, Speisen ab 6,50 Euro
Vegetarische Gerichte: ja, Vegane Gerichte: ja
Behindertengerecht: bedingt